Wuchskraft

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Die Wuchskraft bzw. Wuchsstärke einer Rebanlage hat vielfältige Auswirkungen auf Ertrag, Erntemenge, Verrieselungsneigung, Stiellähme und allgemeine Krankheitsanfälligkeit. Anzustreben ist ein moderater Wuchs, der aber witterungsbedingt gewissen jährlichen bzw. saisonalen Schwankungen unterworfen ist und einen dynamischen (schwankenden) Gleichgewichtszustand ausdrückt.

An der Stellschraube Wuchskraft drehen

Alte Reben lassen in der Wuchskraft nach, besonders wenn Lücken durch längeren Anschnitt überbrückt werden. Im Bild ein sehr alter Silvanerweinberg.

Mehrere Faktoren, sowohl externe wie interne spielen hinein und können sich gegenseitig aufschaukeln oder aufheben. Besteht die Kenntnis, wie eine Pflegemaßnahme oder ein Witterungsereignis sich auswirkt, so kann entsprechend reguliert und gegengesteuert werden. Extreme sowohl in die eine als auch in die andere Richtung sollten vermieden werden. Ein sehr schwacher Wuchs zehrt langfristig an der Vitalität der Reben. Dies gilt umso mehr, wenn die Wuchsleistung über die Jahre immer mehr nachlässt und der jährliche Holzzuwachs nur noch minimal ist. Alte Reben haben im Mittel eine schwächere Wuchsleistung als jüngere Stöcke, hier spielen sicherlich auch zunehmende Leitbahnschäden eine Rolle. Diese sind ursächlich dafür verantwortlich, dass einzelne Reben besonders schwachwüchsig werden. Sägt man einen solchen Stamm auf, so ist die Leitbahnverengung gut erkennbar. Die Holzreife ist in Weinbergen mit moderater Wuchskraft am günstigsten. Sowohl schwachwüchsige Reben mit mangelnder Reserveeinlagerung als auch sehr mastige Reben mit weitem Markkanal und spät erfolgter Holzreife haben hingegen eine verminderte Widerstandsfähigkeit gegen Fröste.

Kennzeichen einer hohen Wuchskraft

Regent gilt zwar nicht als starkwüchsige Sorte, auf dem Bild trifft dies aber zweifellos zu. Sattgrünes Laub, starker Geiztriebwuchs und große Blätter sind typische Kennzeichen überhöhter Wuchskraft.
Starkwüchsige Bestände bedürfen einer guten Bestandspflege wie Entblätterung, um die Trauben gesund zu halten.

Eine hohe Wuchskraft hat einen starken vegetativen Wuchs zur Folge, ausgelöst durch eine gute Reservestoffeinlagerung im Altholz aus den Vorjahren (Energiestatus der Rebe) sowie einer aktuellen guten Wasser- und Nährstoffversorgung. Die Rebe schöpft quasi aus dem Vollen. Die jungen Triebe sind bereits zum Austrieb kräftiger, ausgelöst durch die Mobilisierung der Reserven aus dem Holz. Die Triebe entwickeln weite Internodien und sattgrüne, große Blätter, es gibt kaum Schwachtriebe am Stock. Nach dem notwendigen frühen Laubschnitt, der bei späterer Durchführung sonst zum Umkippen der überstehenden Triebe führen würde, wachsen die Geiztriebe entsprechend stark und die Laubwände verdichten sich zunehmend. Das gilt nicht nur im apikalen Bereich, sondern auch für die Traubenzone, die sich wieder verdichtet. Die Blattfärbung im Herbst tritt allgemein später ein, man spricht hierbei von einer verzögerten Seneszenz (Blattalterung, Eintrittszeitpunkt der Holzreife). Je nach Sorte kann auch die Triebbildung aus dem alten Holz, sogenannte Wasserschosse, sehr massiv sein. Die Rebe treibt quasi „aus jedem Knopfloch“, was Sommerarbeiten intensiviert. Jedoch gibt es hier sortenspezifische Unterschiede, so treibt ein mastiger Portugieserstock kaum stärker aus dem Altholz als ein normalwüchsiger Stock derselben Sorte, da die Austriebsbereitschaft von Portugieser am alten Holz ohnehin gering ist. Anders bei Silvaner und Morio-Muskat: Hier steigert sich mit zunehmender Wuchskraft die Ausbildung von Wasserschossen merklich, zu dieser die Sorten ohnehin neigen. Es werden mehrere Ausbrechdurchgänge sowie drei und mehr Laubschnitte notwendig. Auch Entblätterungsmaßnahmen sind erforderlich, um Verdichtungen und Beschattung in der Traubenzone zu vermeiden. Beim Rebschnitt fällt entsprechend viel Schnittholz an. Eine überhöhte Wuchskraft kann zwar ertragssteigernd sein, muss es aber nicht zwangsläufig. Denn häufiger verrieseln solche Bestände bei ungünstiger Blütewitterung stärker, als normalwüchsige Reben. Die Reben schießen dann „ins Kraut“, da die wenigen Trauben als Energieverbraucher nicht ausreichen. Bei günstiger Blüte werden Trauben und Beeren groß bzw. schwer. Ein gravierender Nachteil ist dann in mastigen Anlagen die erhöhte Fäulnisneigung. Insgesamt ist die Anfälligkeit für Pilzkrankheiten in wüchsigen Beständen höher, dies gilt neben Botrytis insbesondere für Peronospora und Phomopsis und ist der schlechteren Abtrocknung und Durchlüftung geschuldet. Aber auch das rascher gewachsene Pflanzengewebe ist anfälliger für Schadpilze und neigt eher zu Beerenplatzen durch späte Wassereinlagerung. Das Verhältnis zwischen Ertrag und Schnittholzmenge gibt optisch und rechnerisch Aufschluss auf den Wuchszustand der Rebe. Liegen die Gassen nach dem Rebschnitt voll mit Holz, so ist dies ein sicheres Zeichen, dass der Wuchs im Vorjahr stark war. Die erzeugte Traubenmenge sollte in etwa das Vier- bis Achtfache der Schnittholzmenge betragen, dann besteht ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Trieb- und Traubenbildung. Im Umkehrschluss gilt, dass stärker wüchsige Bestände auch mehr Trauben ernähren können. Sinkt jedoch der Traubenertrag unter die vierfache Menge des Holzertrags, so „passt“ die Fruchtbildung nicht mehr zum erzielten Holzertrag, das Verhältnis verschiebt sich zunehmend. Die Reben werden zunehmend unterlastet, die „überflüssige“ Energie geht in den Wuchs. Solche Missverhältnisse entstehen bei regelmäßiger und starker Verrieselung der Beeren oder frühen und starken Ertragsausdünnungen in gut versorgten Anlagen. Dies kann auch ein am Wuchs zu knapp bemessener Anschnitt sein. Unterlasteten Reben sollte daher mehr zugemutet werden, daher ist der Anschnitt an Augen zumindest zeitweise zu erhöhen, keinesfalls aber zu verkürzen. Weitere Wuchskraft senkende Maßnahmen wie höherer Begrünungsanteil, zeitweiliger N-Verzicht (auch in Form von Kompostgaben) sollten unterstützend eingeleitet werden. Eine frühe Entblätterung, jedoch erst nachdem die Blüte abgeschlossen ist und die Beeren zu wachsen beginnen, kann ebenfalls die Wuchskraft mindern. Ausdünnmaßnahmen sollten in diesem Fall unterlassen werden. Falls aus Höchstertrags- und Qualitätsgründen doch erforderlich, dann zu einem möglichst späten Termin (ab Reifebeginn).

Kennzeichen schwacher Wuchskraft

Schwachwüchsige Reben weisen schwache Triebe auf, die oft nur an der Basis genügend ausgereift sind. Die Einlagerung von Assimilaten ist vermindert, so dass die Stöcke bereits beim Austrieb nicht aus dem Vollen schöpfen können. Die Reben wirken insgesamt „gestresst“, aufgehelltes Laub im Sommer und eine frühe Herbstfärbung machen keinen frohwüchsigen Eindruck. Häufig sind im Anschnittbereich am Stammkopf nur wenige schwache Ruten mit Kurzinternodien ausgebildet, da hier die Apikaldominanz zusätzlich zum Tragen kommt. Kümmertriebe an der abfallenden Bogrebe sind die Regel. Da die Reben durch fortlaufende Klonenselektion auf hohe Ertragskonstanz getrimmt wurden, geht der Holzzuwachs (vegetativer Wuchs) rascher zurück als der Traubenertrag (generativer Wuchs). Liegt der Traubenertrag längerfristig über dem Faktor 10 zum Holzertrag, so spricht man von Überlastung. Dabei ist das Blatt-Frucht-Verhältnis ungünstig, so dass Reifedefizite wahrscheinlich sind. Neben geringeren Mostgewichten fehlt es auch an sortentypischen Aromastoffen, N-Verbindungen, die zur Hefeversorgung beitragen, und Mineralstoffen in den Beeren. Die Weine wirken ausgezogen und neigen zur untyischen Alterungsnote. Bei Pendelbogenerziehung mit hohem Anteil an eingekürzten Trieben wird dies besonders deutlich, aber auch bei Flach- oder Halbbogenerziehung kann ein Missverhältnis durch vermehrte Kümmertriebe entstehen. Hier ist es kontraproduktiv, durch frühes Einkürzen von Trieben noch den Ertrag weiter steigern zu wollen und eine Minderung der Blattfläche billigend in Kauf zu nehmen. War dies bei den Altvorderen eine notwendige und zielgerichtete Maßnahme, um den Ertrag an allgemein schwach tragenden und verrieslungsempfindlichen Reben überhaupt zu sichern, so gestaltet sich eine derartige Maßnahme klonenrein vermehrter Reben heute ins Gegenteil. Die durch Klonauslese ertragsstabilisierte Rebe ist dann nicht mehr in der Lage, alle Trauben ausreichend zu versorgen und gleichzeitig die Holzreife und Reservestoffeinlagerung zu bewältigen. Durch Ausdünnmaßnahmen kann das Verhältnis kurzfristig angeglichen werden, die erhofften positiven Auswirkungen auf den Wuchs/Reservestoffhaushalt sind aber, nachdem sich der Beerenansatz bereits ausgebildet hat, nur noch teilweise erreichbar.

Bei langfristig bzw. chronisch überlasteten Reben sinkt der Holzertrag immer stärker als der Fruchtertrag, die Anlage „fällt zunehmend vom Holz“, man findet kaum noch Zielholz für den nächstjährigen Anschnitt. Es treiben weniger Wasserschosse aus dem Altholz, die zum Stockaufbau dienen könnten. Ein Laubschnitt zum späten Termin erfasst nur die kräftigen Triebe. Die Laubwand wirkt sehr licht, Entblätterungsmaßnahmen sind in diesem Falle nicht nur überflüssig, sondern kontraproduktiv. Damit diese Reben wieder die nötige Triebkraft erhalten, sollte nur wenig Fruchtholz angeschnitten werden. Es genügen ein oder zwei längere Zapfen oder Strecker. Zu beachten ist, dass die Internodien verkürzt sind, oft werden unwillkürlich zu viele Augen belassen, auch wenn die Rute kurz bemessen wird. Eine Triebreduktion nach dem Austrieb wirkt vitalisierend. Da man Reben die Wuchskraft meist nicht mehr ansieht, wenn der alte Bogen bereits entfernt ist, sollten schwache Reben beim Vorschnitt die Rute am besten gleich abgelängt werden. Besonders wenn die kräftigste Rute stets als Zielholz belassen wird, ist die Gefahr eines zu langen Anschnitts hoch. Aber auch Bodenpflege und Düngung sind wichtige Stellschrauben zur Regulation der Wuchskraft.

Steuerbare und nicht steuerbare Einflüsse

Auch Viruskrankheiten führen zu chronischem Kümmerwuchs. Hier können in bestehenden Anlagen nur die Symptome kuriert und nicht die eigentliche Ursache (virusinfizierte Reben) behoben werden.

Viele Faktoren sind naturgegeben und können daher nicht in bestehenden Anlagen beeinflusst werden. Dies gilt besonders für die Bodenauflage und die Niederschlagsverteilung, die standort- und witterungsbedingt vorgegeben sind. Wuchsbeeinflussend sind Unterschiede bei der Wasser- und Nährstoffversorgung der Böden. Grundsätzlich kann unterstellt werden, dass ein tiefgründiger und feinerdiger Boden mit hoher Wasserhaltefähigkeit optimale Voraussetzungen für eine hohe Wuchskraft bietet und man eher bremsend eingreifen sollte. Ein Boden mit geringem durchwurzelbarem Horizont oder hohem Steinanteil führt zu einer unterdurchschnittliche Wuchsleistung der Rebe, langfristig kann die Wuchsleistung auch an der Stammdicke erkannt werden. Auf sehr kargen Standorten haben alte Reben noch verhältnismäßig dünne Stämmchen. Oft ist dies auf Teilflächen sehr auffällig, daher kann der Wuchs stark nachlassen, wenn Stein- oder Kiesbänke im Untergrund vorhanden sind oder Sandauflagen bestehen. Zudem führt eine Virusbelastung auf Teilflächen zu einem starken Wuchsrückgang. Besonders betroffen ist dabei Lemberger. Begrenzend wirken außerdem zehrende Begrünungen über die Sommermonate. Ein trockener Frühsommer, wie er beispielsweise 2014 verbreitet war, führte allgemein zu einem gedämpften Wuchs besonders in jungen Anlagen, verursacht durch Wasserknappheit. Die Sommer- und Herbstniederschläge hatten in trockengeschädigten Anlagen bei vorzeitigem Triebabschluss kaum noch einen Einfluss auf den Wuchs (jedoch auf die Fäulnis durchaus noch), in eher starkwüchsigen sind die Reben hingegen nochmals spät kräftig gewachsen, diese konnten die Trockenphase besser überbrücken.

Richtiges „Wuchskraftmanagement“

Dieses Bild eines wüchsigen Dornfelders zeigt alle Maßnahmen auf, welche die Wuchskraft fördern: Offene Bodenhaltung, Organische Düngung und die Möglichkeit der Bewässerung
Auch Chlorose mindert stark die Wuchskraft, wenn diese zum chronischen Dauerzustand wird.

Mit der Pflanzung ist der Grundstock für Sorte und Unterlage gelegt. Besonders die Unterlage hat einen Einfluss auf den späteren Wuchs. Je karger und trockener der Standort, um so wuchskräftiger sollte sie sein, umgekehrt sollten auf wüchsigen Standorten Unterlagen mit gezügeltem Wuchs gewählt werden. Zudem gilt: Bei weiten Standräumen eher eine wüchsige Unterlage wie 125 AA oder 5 BB bevorzugen, bei engen schwachwüchsige Unterlagen wie SO4 auswählen. So genannte Dichtpflanzungen mit Stockabständen deutlich unter einem Meter bedürfen auf wuchskräftigen Böden besonders schwache Unterlagen, um nicht bei entsprechend kurzem Anschnitt „ins Kraut zu schießen“. Neigt die Unterlage aufgrund ihrer Kalkunverträglichkeit aber zu Chlorose, so wirkt dies der Wuchskraft entgegen, was des Öfteren bei der starkwüchsigen Unterlage 5 BB beobachtet werden kann. Einen großen steuerbaren Einfluss hat die Bodenpflege und N-Düngung, eine wassersparende Bodenpflege (Störung bzw. Umbruch von Begrünungen, zeitweise Offenhalten der Gassen über Sommer, Abdeckung mit Stroh oder Rindenmulch) fördert die Nährstoffverfügbarkeit und –aufnahme. Kompost- und Mistgaben wirken nicht nur über den im Produkt selbst verfügbaren (mineralisierten) Stickstoff, sondern auch über besseres Wasserspeichervermögen, das zusätzliches N freisetzt. Üppige Begrünungen hingegen wirken wie eine Wuchskraftbremse, da sowohl Nährstoffe abgepuffert, als auch Bodenwasser verknappt wird. Leguminosen (Klee, Erbsen, Bohnen, Lupinen) haben dabei eine Sonderstellung unter den Einsaaten, da sie über Knöllchenbakterien in der Lage sind, Luftstickstoff pflanzenverfügbar zu machen. Dies führt dann zu einem Nettoeintrag von außen, der beim Absterben der Pflanzen rebenverfügbar wird. Bei schwach gewachsenen Reben sollte die Bodenpflege so gestaltet werden, dass zur Hauptwachstumsphase (Blüte bis Erbsengröße der Beeren), ausreichend Nährstoffe und Bodenwasser für die Rebe verfügbar ist. Dies kann durch flache Bearbeitung oder Bodenabdeckung (z.B. grobes Grünschnitthäcksel oder Stroh) im Frühjahr erfolgen. Zwar ist ein Ausgleich durch Bewässerung grundsätzlich möglich, doch bieten viele Anlagen weder die Möglichkeit noch die Wirtschaftlichkeit, dass sich eine Zusatzbewässerung in Normaljahren bezahlt macht, sie sollte sich auf Extremsituation oder besonders flachgründige, exponierte Lagen beschränken. Ab dem Spätsommer sollte sich die Anlage wieder begrünen bzw. eine Einsaat erfolgen, um stärkere Auswaschungen zu unterbinden und um die Rebe einer moderaten Konkurrenzsituation auszusetzen. Dies dient dem Wuchsabschluss (Seneszenz) und fördert die Traubengesundheit. Nicht immer ist mangelnde Wasser- und Nährstoffverfügbarkeit die Ursache für Schwachwuchs, daher sollte auch auf Viruserkrankungen, Chlorose, Bodenversauerung, Vernässung und Verdichtung, einzelne Nährstoffmängel (K, Mg), Stammschäden oder Schädlinge (Reblausbefall) geachtet werden. Zwar kann durch wuchsfördernde Bodenpflege und Humusaufbau eine Linderung erfolgen, diese Maßnahmen setzen jedoch nicht an der Ursache an. Gerade bei Chlorose führen falsche Maßnahmen (intensive Bodenbearbeitung, zusätzliche N-Düngung) noch zur Verstärkung.

Bei Premiumerzeugung ist weniger mehr

Unter dem Gesichtspunkt einer starken Ertragsreduzierung (Premiumqualität) muss bedacht werden, dass die Rebe weniger Trauben zu versorgen hat und somit auch der Nährstoffentzug der Fläche geringer ausfällt. Als Konsequenz sollte die N-Düngung gegebenenfalls reduziert werden. In zu üppigen Beständen kann durchaus vorübergehend mit der N-Düngung ganz ausgesetzt werden und so die Anlage wieder auf einen ausgeglichenen Wuchs zurückgefahren werden. Rebflächen für Premiumproduktion können im Betrieb rotieren. Gerade Weinberge mit etwas schwächerem Wuchs sind für qualitative Ausdünnmaßnahmen besser geeignet. Dies gilt ausdrücklich für die Rotweinproduktion, da die Einlagerung phenolischer Inhaltsstoffe erhöht wird und die Beeren kleiner bleiben, was wiederum der Farbausbeute und dem Gesundheitszustand zu Gute kommt.

Eine Anpassung des Bodenpflegesystems an die Standortgegebenheiten ist hin und wieder notwendig. Zwar ist es arbeitswirtschaftlich sinnvoll, alle Weinberge mit dem gleichen Bodenpflegesystem auszustatten. Aus Sicht der Wüchsigkeit ist es aber besser, jede Fläche mit einem individuellen Pflegekonzept zu bewirtschaften. Junganlagen werden in den ersten Jahren über Sommer offen gehalten. Je nach Wüchsigkeit sollte nach und nach eine (Teilflächen-)Begrünung als Wuchsbremse eingesetzt werden. Witterungs- und situationsabhängig kann es bei Wuchskraftsabfall in Trockenjahren notwendig sein, die Begrünung zeitweise zu stören (z. B. Kreiselegge) ohne sie gleich ganz umbrechen zu müssen.

Spezialfall Jungfelder

In der Jungfeldpflege spielen sowohl Witterung als auch Pflegemaßnahmen eine ausgeprägte Rolle für den Wuchs der konkurrenzschwachen Reben. Die Unterschiede sowohl vom Jahr als auch vom Bewirtschafter treten besonders deutlich zu Tage. Der bekannte Ausspruch, dass man ein Jungfeld großhacken muss, hat nach wie vor seine Berechtigung. Eine flache oberflächliche Bodenbearbeitung bricht die Bodenkapillare, hält das Bodenwasser verfügbar und beseitigt konkurrenzstarke Unkräuter. Der Wuchs sollte so stark sein, dass die Jungreben möglichst alle im ersten Winter auf Stammhöhe angeschnitten werden können. Dies führt zu baldigem Ertragsbeginn und erfordert weniger Pflegearbeiten im zweiten Jahr. Aber Reben, die im Jungfeldjahr bereits den Drahtrahmen mit Geiztrieben ausfüllen, sollten aufgrund später Holzausreife und weitem Markkanal nicht das Ziel sein. Zudem ist zu beachten, dass eine hohe Nährstofffreisetzung im Pflanzjahr nur unzureichend von den Reben verwertet werden kann (hohe Kompostgaben sind kritisch!). Um die Auswaschung von Nährstoffen ab Vegetationsabschluss zu minimieren, sollte ab August die Bearbeitung ganz eingestellt und Begrünungen etabliert werden.

Zusammenfassung

In den folgenden Tabellen sind alle Auswirkungen einer hohen bzw. niedrigen Wuchskraft auf die Rebe sowie die Auswirkungen verschiedener weinbaulicher Maßnahmen auf die Wuchskraft nochmals zusammengefasst.

Welche Auswirkungen hat eine höhere bzw. niedrigere Wuchskraft auf die Reben und die Trauben?
Höhere Wuchskraft bewirkt/fördert ... Geringere Wuchskraft bewirkt/fördert ...
Traubenerträge bei normaler Blüteentwicklung (Ausnahmen bestehen bei starker Verrieselung oder bei hohem Fäulnisdruck, dann kann der Ertrag evtl. stark vermindert sein) Fäulnisfestigkeit durch lockere Traubenstruktur und bessere Belichtung der Beeren und Durchlüftung der Traubenzone auch ohne Entblätterung, Beeren weniger platzempfindlich
Trockentoleranz, sofern die Reben nicht durch Ertrag überlastet werden Geringerer Krankheitsdruck (insbesondere Peronospora) wegen moderatem Blattzuwachs in der Hauptwachstumsphase der Rebe, bessere Anlagerung der Mittel bei lichten Laubwänden
Assimilation, Einlagerung von Reserven ins Holz, jedoch nimmt die Frostfestigkeit durch spätere Holzreife eventuell wieder ab Günstige Arbeitswirtschaft, da Rebschnitt weniger zeitaufwändig und Laubarbeiten weniger termingebunden, Extensivere Bewirtschaftung (einschl. Erziehungen wie Kordonschnitt/Umkehr) sind möglich, ohne das Ausfallrisiko massiv zu erhöhen
Mostgewichtsleistung auch bei höheren Erträgen durch ausreichende Blattfläche Zusatzmaßnahmen zur Fäulnisprävention wie der Einsatz von Bioregulatoren oder Traubenhalbierung sind oft nicht notwendig
Einlagerung von mehr hefeverfügbaren N-Verbindungen während der Reife, sofern Trauben gesund bleiben Möglichkeit einer späten Lese, ohne dass ein rascher Zusammenbruch der Bestände befürchtet werden muss
Hohe Flächenproduktivität (Hektarertrag) bei intensiver Produktion Hohe Flächenleistung (weniger Arbeitsstunden je Hektar) bei extensiver Produktion
Wie wirken sich bestimmte Maßnahmen auf die Wuchskraft aus?
Die Wuchskraft wird gesteigert durch ... Die Wuchskraft wird gesenkt durch...
Regelmäßige hohe N-Gaben durch organische (Trester, Bio-Komposte) oder mineralische Düngung, Leguminosenbetonte Einsaaten N-Düngeverzicht, keine Humusnachfuhr z. B. über Tresterrückfuhr, Holzentnahme aus der Anlage (Edelreiser, zu Heizzwecken)
Wassersparende und N-freisetzende Bodenbearbeitung, Bodenabdeckungen Dauerbegrünungen, Naturbegrünungen, Etablierung von konkurrenzstarken Begrünungspflanzen wie Gräser
Frühe Ertragsregulierung, dies kann auch durch kurzen Anschnitt, Triebreduktion, Einflüsse durch Windbruch, Spätfrost oder Knospenschädlinge bedingt sein Langer Anschnitt, ungünstiges Blatt-Frucht-Verhältnis, keine Ertragsregulierung bei hohen Stockerträgen
Frühe Entblätterung kann wuchsfördernd sein, wenn die Erträge dadurch gesenkt werden und später ein neuer Laubzuwachs erfolgt Intensive Entblätterung, Blattverluste durch Krankheiten und Schädlinge während der Hauptwachstumsphase
Bewässerung Virusbelastete Bestände und Böden
Begrünungsumbruch (Winterbegrünung, Dauerbegrünung) Chlorosestandorte
Dichtpflanzungen Weite Pflanzabstände, Zeilenrodungen, langgezogen Kordonarme
Wuchskräftige Unterlagen (5 BB, 125 AA), die zu Verrieselung neigen Schwachwüchsige Unterlagen (SO4, Binova), die blütefest sind

Fazit

Die Wuchsstärke einer Anlage spielt sowohl für den potentiellen Traubenertrag als auch für die Traubenqualität eine entscheidende Rolle. Auch die Arbeitswirtschaft und der Krankheitsdruck werden durch sie entscheidend beeinflusst. Der Bewirtschafter hat, beginnend vom Rebschnitt über sämtliche Boden- und Stockpflegearbeiten sowie der N-Zufuhr, vielfältige Möglichkeiten der Beeinflussung. Je nach Maßnahme, Zeitpunkt und Intensität sind Gegenmaßnahmen sowohl in die eine als auch in die andere Richtung zu erwarten. Anzustreben ist eine mittlere, ausgewogene Wuchskraft, wobei aus betrieblicher Sicht durchaus gewisse Unterschiede gerechtfertigt sind. Höhere Zielerträge und eine intensivere Produktion erfordern eine höhere Wuchskraft als ein geringeres Ertragsziel bei extensiver Wirtschaftsweise. Je nach Vermarktungsform (Traubenerzeuger, Flaschenwein, Fasswein), Personal- und Flächenausstattung hat diese einen entscheidenden Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Betriebs.

Einzelnachweise

Literaturverzeichnis

  • Götz, G. (2015): Wuchskraft. Abteilung Weinbau & Oenologie (Gruppe Weinbau), Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz, Neustadt an der Weinstraße.
  • Götz, G. (2015): An der Stellschraube Wuchskraft drehen: Qualitätsmanagement. Das Deutsche Weinmagazin 6: 32-35