Reisigkrankheit
Einer der wirtschaftlich wichtigsten Rebvirosen im Weinbau ist der Komplex der Reisigkrankheit. Die Reisigkrankheit (Fächerblättrigkeit, engl. fanleaf) kann von verschiedenen Viren hervorgerufen werden. Diese gehören zur Gattung Nepovirus (Nematoden-übertragbare Viren mit Polyederstruktur) und sind kleine, rundliche, isometrische Partikel von etwa 30 nm Durchmesser.
Inhaltsverzeichnis
Beteiligte Viren
Folgende Viren werden in Deutschland am häufigsten in reisigkranken Reben nachgewiesen:
- Reisig-Virus (Grapevine fanleaf virus, GFLV) [1],
- Arabismosaik-Virus (Arabis mosaic virus, ArMV) [2],
- Himbeerringflecken-Virus, cherry-Stamm (Raspberry ringspot virus, RpRSV-ch).
Seltener und auf bestimmte Anbaugebiete beschränkt sind:
- Himbeerringflecken-Virus, grapevine-Stamm (RpRSV-g),
- Latentes Erdbeerringflecken-Virus (Strawberry latent ringspot virus, SLRSV),
- Tomatenschwarzringflecken-Virus (Tomato black ring virus, TBRV).
Von einigen Viren sind verschiedene, mehr oder weniger nahe verwandte, aber serologisch unterscheidbare Stämme bekannt (z. B. RpRSV, TBRV). Diese Stämme können bei Reben unterschiedliche Symptomausprägungen zur Folge haben. Bezeichnet werden sie nach dem erstmaligen Fundort (z. B. engl. Stamm) oder nach der Kultur, aus der sie erstmals isoliert wurden (z. B. cherry-Stamm). Dabei gibt es teilweise verwirrende Überschneidungen. Von praktischer Bedeutung ist, dass verschiedene Stämme des gleichen Virus von verschiedenen Nematodenarten übertragen werden.
Wirtschaftliche Bedeutung
Bei der Abschätzung der wirtschaftlichen Bedeutung der einzelnen Nepoviren muss sowohl ihre Verbreitung als auch ihr Einfluss auf den Traubenertrag berücksichtigt werden.
- GFLV (Reisig-Virus), das ausschließlich in der Rebe vorkommt, ist weltweit in den traditionellen Weinbaugebieten stark verbreitet und gilt als eines der gefährlichsten Rebviren. Das Virus kann, je nach Sorte und Jahr, Ertragsverluste von mehr als 50 % verursachen.
- ArMV (Arabismosaik-Virus) kommt zwar weltweit in sehr vielen Kulturen vor, speziell bei der Rebe scheint das Virus aber stärker in den europäischen Weinbaugebieten verbreitet zu sein. Speziell bei der Rebsorte Kerner führt ein Befall mit ArMV zu einem schnellen Absterben der Reben ("Kernerkrankheit") und verursacht dadurch große Schäden.
Die anderen Viren können lokal eine beachtliche Bedeutung haben. Die Reisigkrankheit breitet sich herdförmig aus und führt dadurch im Laufe der Zeit zu steigenden Verlusten. Die Anlagen werden deshalb oft frühzeitig gerodet, was eine geringere Rentabilität zur Folge hat. Nachgepflanzte Reben sind durch eine Neuinfektion stark gefährdet.
Schadbild
Der Krankheitsverlauf ist normalerweise schleichend, d. h., in den ersten Jahren nach der Infektion sind die Symptome noch nicht oder nur schwach sichtbar. Die Symptomausprägung variiert je nach der Rebsorte, dem jeweiligen Virus und dem Krankheitsstadium sehr stark. Die einzelnen Nepoviren führen unterschiedlich rasch zu einem deutlichen Verfall der Rebe.
Die typischen Symptome der Reisigkrankheit, hervorgerufen durch das Reisig-Virus (GFLV), sind:
- verzögerter Austrieb und Schwachwüchsigkeit bis hin zu Kümmer- und Besenwuchs.
- An den Trieben fallen Verbänderungen, gestauchte Triebe mit Kurzinternodien und „Zickzack-Wuchs“, Doppelknoten, anomale Gabelungen und Doppeltriebe auf.
- Bei einem Querschnitt durch kranke, verholzte Triebe (vor allem von Amerikanerunterlagen) erkennt man unter dem Mikroskop in den Tracheen charakteristische „intrazelluläre Stäbchen“.
- Die Blätter sind oft kleiner, spitz gezähnt und asymmetrisch, mit geöffneter Stielbucht. Sie können entweder gar nicht oder aber ungewöhnlich stark gelappt sein. Die Blattspreiten können sich so stark raffen, dass sie ein fächerartiges Aussehen (daher der Name fanleaf!) annehmen. Gelegentlich bilden sich auch so genannte Enationen – kammartige Blattlappen – auf der Blattunterseite. Die Blattspreite kann punkt- oder fleckenförmige Aufhellungen zeigen. Die Gescheine beginnen bald nach der Blüte durchzurieseln, die Trauben sind oft kleinbeerig, die Stöcke verstärkt frostempfindlich.
Alle Europäer- und Amerikanerreben sowie interspezifische Kreuzungen können von der Reisigkrankheit befallen werden, die Symptome und die Auswirkungen auf den Ertrag sind jedoch je nach Sorte unterschiedlich stark ausgeprägt. So reagiert der Gewürztraminer sehr empfindlich mit Fächerblättern, starkem Wuchsrückgang und Verrieseln, während sich beim Kerner nur undeutliche Blattsymptome zeigen. Auch der Riesling gehört zu den weniger empfindlichen Sorten. Bei Unterlagensorten treten Wuchsdepressionen und Blattdeformationen meist erst in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium auf.
Die infektiöse Panaschüre ist eine Sonderform der Reisigkrankheit.
Sie zeigt sich als sektoriale, mosaikartige, linienförmige oder fleckige chlorotische Verfärbung der Blattspreiten. Erste Anzeichen einer Virusinfektion sind oft die sich gelb färbenden Blattgallen der Pockenmilben. Beim Auftreten von Panaschüren sind Triebwachstum und Gescheinsbildung zunächst nicht beeinträchtigt, bei fortschreitender Krankheit zeigen sich aber fast immer die typischen Wuchs- und Blattsymptome der Reisigkrankheit. Auch Rotweinsorten vergilben beim Auftreten der infektiösen Panaschüre.
Übertragung und Bekämpfung
Nepoviren werden im Rebbestand durch bodenbewohnende Nematoden der Gattungen Xiphinema, Longidorus und Paralongidorus verbreitet.
Außerdem kann die Reisigkrankheit leicht bei der Pfropfrebenherstellung durch infizierte Veredlungspartner übertragen werden. Eine Übertragung beim Rebschnitt gilt als ausgeschlossen. Die Reisigkrankheit kann, wie andere Virosen auch, nicht direkt im Bestand bekämpft werden. Deshalb bleibt nur die indirekte Bekämpfung durch Ausschaltung der Überträger, sorgfältige Kontrolle der Vermehrungsbestände und ausschließliche Verwendung gesunden Pflanzgutes (Gesundheitsselektion im Weinbau).
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Descriptions of Plant viruses (HTML) Datensammlung zum Grapevine fanleaf virus
- ↑ Descriptions of Plant viruses (HTML) Datensammlung zum Arabis mosaic virus
Literatur
- Ipach, U. (2013): Reisigkrankheit. Abteilung Phytomedizin (Gruppe Weinbau), Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz, Neustadt an der Weinstraße.
- Mohr, H. D. (2012): Farbatlas Krankheiten, Schädlinge und Nützlinge an der Weinrebe. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Eugen Ulmer KG Stuttgart-Hohenheim: 335 Seiten.