Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln
Inhaltsverzeichnis
Zulassungsverfahren, Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln
Von Pflanzenschutzmitteln dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier und das Grundwasser und keine unvertretbaren Auswirkungen auf den Naturhaushalt ausgehen. Deshalb ist die Sicherheit für Mensch und Umwelt ein zentrales Thema bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Nur Mittel, die diese Kriterien erfüllen, können eine Zulassung erhalten.
Bevor Pflanzenschutzmittel angewendet werden dürfen, unterliegen sie einem sehr strengen, an wissenschaftlichen Kriterien orientierten Bewertungs- und Zulassungsverfahren. Pflanzenschutzmittel gehören daher heute zu den am besten untersuchten chemischen Substanzen.
Mit dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 am 14. Juni 2011 gilt für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln europäisches Recht. Die "Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG vom 21. Oktober 2009", kurz Verordnung (EG) Nr. 1107/2009, regelt die Prüfung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und ihren Wirkstoffen sowie weitere Fragen wie Parallelimporte, Kontrollen oder Aufzeichnungspflichten. Zentrale Punkte der neuen Regelung sind u. a. die Erhöhung des Schutzniveaus für Verbraucher, Anwender und die Umwelt, eine weitgehende Harmonisierung bei der Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln sowie die gegenseitige Anerkennung von Pflanzenschutzmittelzulassungen. Es gelten noch zahlreiche Übergangsregelungen. Die nötigen Anpassungen und Ergänzungen des nationalen Rechts sind mit der Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes vom 06.02.2012 erfolgt.
Die Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln, aber auch Safener und Synergisten sowie Beistoffe werden in der EU in einem für alle Mitgliedsstaaten verbindlichen Gemeinschaftsverfahren nach der Verordnung (EG) 1107/2009 bewertet. Grundsätzlich können Pflanzenschutzmittel nur dann in den Mitgliedstaaten zugelassen werden, wenn deren Wirkstoffe in einer Positivliste zulässiger Wirkstoffe aufgenommen sind (Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG). Mit der neuen Verordnung wurde auch das zonale Zulassungsverfahren eingeführt. Dazu wurde das Gebiet der EU in drei Zonen (Norden, Mitte und Süden, s. Abbildung rechts) aufgeteilt. Antragsteller können einen Zulassungsantrag gleich für mehrere Mitgliedsstaaten einer Zone stellen. Ein Mitgliedstaat (wird vom Antragsteller vorgeschlagen) nimmt die Bewertung vor, die anderen Staaten der Zonen erteilen dann in einem vereinfachten Verfahren ebenfalls die Zulassung, was insgesamt zu einer besseren Nutzung vorhandener Kapazitäten, zu einer verbesserten Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln und zum Bürokratieabbau beitragen soll.
In Deutschland muss die Zulassung beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) beantragt werden. Zu dem Antrag gehört ein vollständiges Dossier, das jeden Punkt der umfangreichen Datenanforderungen abdeckt. Erforderlich sind zum Beispiel Unterlagen zu den physikalischen und chemischen Eigenschaften, zur Analytik sowie für die Bereiche Wirksamkeit, Toxikologie, Rückstandsverhalten und Umweltverhalten. Die Studien müssen nach vorgegebenen Normen von zertifizierten Versuchseinrichtungen durchgeführt werden. Mit der Zulassung trifft das BVL auch eine Reihe von Maßnahmen, um Risiken zu vermindern und eine sichere Anwendung zu gewährleisten.
Die Zuständigkeit des BVL für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln ist in § 33 PflSchG geregelt, die weiteren daran beteiligten Behörden in § 34. Im Zulassungsverfahren arbeitet das BVL mit drei Bewertungsbehörden zusammen: Das Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen (Julius Kühn-Institut, JKI) prüft die Wirksamkeit, die Pflanzenverträglichkeit sowie die praktische Anwendung und den Nutzen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bewertet die Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier. Das Umweltbundesamt (UBA) beurteilt das Mittel im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf den Naturhaushalt. Im BVL selber werden u. a. die Zusammensetzung und die chemisch-physikalischen Eigenschaften des beantragten Produkts bewertet. Wie diese Bewertungen ausgeführt werden, ist durch EU-Rechtsakte genau festgelegt. Auch die Fristen für die Prüfung eines Zulassungsantrages sind festgelegt.
Sind die Zulassungsvoraussetzungen gegeben, erteilt der bewertende Mitgliedsstaat eine Zulassung in seinem Hoheitsgebiet. Andere Mitgliedstaaten der Zone, denen nach Artikel 40 (Gegenseitigen Anerkennung) ein Antrag vorgelegt wird, erteilen nach Prüfung und unter Berücksichtigung eventueller nationaler Besonderheiten eine Zulassung unter den gleichen Bedingungen wie in dem Mitgliedstaat, der den Antrag umfassend geprüft hat. Unter bestimmten Voraussetzungen können Zulassungen auch über Zonen hinweg erteilt werden.
Lückenindikation
Für Kleinkulturen wie z. B. bestimmte Gemüsearten, Beerenobst und Gewürzkräuter oder für spezielle Indikationen gibt es häufig keine oder zu wenig zugelassene Pflanzenschutzmittel (sog. Indikationslücken). Um auch in diesen Fällen erforderlichenfalls den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu ermöglichen, ohne wieder ein vollständiges Zulassungsverfahren durchlaufen zu müssen, war in § 18 des alten Pflanzenschutzgesetzes auch die Möglichkeit der Genehmigung vorgesehen. Demnach konnte das BVL unter bestimmten Voraussetzungen und auf Antrag die Anwendung eines zugelassenen Pflanzenschutzmittels auch in einem anderen als den mit der Zulassung festgelegten Anwendungsgebieten genehmigen.
Dieses Verfahren wird prinzipiell beibehalten und nun durch Artikel 51 „Ausweitung des Geltungsbereiches von Zulassungen auf geringfügige Verwendungen“ der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 geregelt. In Absatz 1 heißt es dazu:
„Zulassungsinhaber, mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten befasste amtliche oder wissenschaftliche Stellen, landwirtschaftliche Berufsorganisationen oder berufliche Verwender können beantragen, dass der Geltungsbereich eines in dem betreffenden Mitgliedstaat bereits zugelassenen Pflanzenschutzmittels auf geringfügige Verwendungen ausgeweitet wird, die darin noch nicht erfasst sind.“
Im neuen Pflanzenschutzgesetz wurde auf diese Regelung in den §§ 12(6) und 22(2) (Einzelbetriebliche Genehmigungen) Bezug genommen.
Mit dem Ziel, beim Schließen vorhandener Bekämpfungslücken mitzuwirken, wurde 1993 der Länder-Arbeitskreis Lückenindikationen (AK-Lück) gegründet. Unter dem Vorsitz des Julius Kühn-Instituts (JKI, früher: Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft) erarbeitet der Arbeitskreis in 10 Unterarbeitskreisen für verschiedene Kulturen die Voraussetzungen für ein Genehmigungsverfahren nach § 18 PflSchG bzw. jetzt Artikel 51 VO (EG) Nr. 1107/2009.
Der AK-Lück sieht sich als „Verbindungs- und Vermittlungsgremium zwischen Berufsstand, Pflanzenschutzmittel herstellender Industrie und den an der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln beteiligten Behörden“. Mitglieder sind die Amtsleiter der Pflanzenschutzdienste der Länder sowie die Leiter der Unterarbeitskreise.
Für den Weinbau konnten so zahlreiche Bekämpfungslücken geschlossen werden, so z. B. gegen die Schwarzfäule, die Reblaus, den Rhombenspanner, Thripse und Kräuselmilben.
Eine weitere Ausnahme von der „Zulassungsbedürftigkeit“ der Pflanzenschutzmittel hatte der Gesetzgeber in § 11, Absatz 2 des (alten) Pflanzenschutzgesetzes vorgesehen. Die sog. „Gefahr im Verzuge“ – Regelung ermächtigte das BVL, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen und für einen bestimmten Zeitraum (maximal 120 Tage) den Einsatz eines für die vorgesehene Anwendung nicht zugelassenen Pflanzenschutzmittels zu genehmigen. Diese Regelung wird nun durch Artikel 53 (Notfallsituationen im Pflanzenschutz), Abs. 1 der VO (EG) Nr. 1107/2009 getroffen:
„Abweichend von Artikel 28 kann ein Mitgliedstaat unter bestimmten Umständen für eine Dauer von höchstens 120 Tagen das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels für eine begrenzte und kontrollierte Verwendung zulassen, sofern sich eine solche Maßnahme angesichts einer anders nicht abzuwehrenden Gefahr als notwendig erweist.“
Im neuen Pflanzenschutzgesetz wird in § 29 „Inverkehrbringen in besonderen Fällen“ auf diese Regelung Bezug genommen.
Einzelnachweise
Literaturverzeichnis
B. Altmayer, J. Eichhorn, B. Fader, A. Kortekamp, R. Ipach, U. Ipach, H.-P. Lipps, K.-J. Schirra, B. Ziegler (2013): Sachkunde im Pflanzenschutz (Weinbau). 8. überarbeitete Auflage. Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz, Abteilung Phytomedizin. Neustadt an der Weinstraße.