Freie Welle

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Bisher waren bei der Bogrebenerziehung lediglich der Halbbogen (Pendelbogen) sowie der direkt am Draht anliegende Flachbogen verbreitet, beide Systeme mit bekannten Vorzügen und Nachteilen. Hier wird eine weitere Rebenerziehungsform vorgestellt, die die Vorteile der beiden erstgenannten Systeme vereint.

Entwicklung der freie Wellenerziehung

Das Hauptproblem des Halbbogens sind die endständigen Schnabeltriebe, die sich ungünstig aufheften lassen oder häufig als eingekürzte Triebe ein unzureichendes Blatt-Frucht-Verhältnis aufweisen. Besonders deutlich ausgeprägt ist dies bei ausladenden Pendelbögen, wie man sie oft noch in älteren Anlagen findet, die Reife dieser Trauben ist unterdurchschnittlich. Der Flachbogen hat diese Problematik zwar nicht, hat jedoch mehr arbeitswirtschaftliche Nachteile. Die Ruten sollten um den Biegedraht gewickelt werden, um eng am Draht anzuliegen und somit ein Umkippen oder Durchruschten der Sommertriebe zu verhindern. Vor allem die Entfernung des Altholzes vom Draht macht dann umso mehr Aufwand. Die Biegedrähte erweisen sich beim Durchtrennen der alten Bögen als erhebliches Hindernis, die Gefahr ist groß, dass Drähte dabei besonders mit Elekto- und Pneumatikscheren durchgetrennt werden. Der erste Heftdurchgang sollte möglichst termingerecht durchgeführt werden, damit ein gerader Wuchs der Triebe garantiert ist.

Beim Biegevorgang der freien Welle wurden die Heftdrähte alle abgelegt, mithilfe sogenannter starrer Hohlbügel. Zunächst wird das obere Rutenende am oberen Biegedraht mit der Bindezange befestigt. Anschließend wird der bauchig abstehende Rutenmittelteil händisch an den unteren Biegedraht geführt und dort mit einer zweiten Bindung festgezurrt. Durch die zwei Bindungen liegt er fest an den Drähten an. Somit kann er weder kippen noch steht er stärker ab.

Aus dieser Problemstellung heraus entwickelte der Winzer Henry Barbey aus Landau-Godramstein (Pfalz) die so genannte freie Wellenerziehung, die sowohl pflanzenbauliche als auch arbeitswirtschaftliche Vorteile in sich vereinigt. Im Prinzip stellt sie quasi einen umgekehrten, sehr flach gestreckten Halbbogen dar, die Biegung erfolgt nach dem Schema wie nebenstehende Graphik verdeutlicht.

Die Rute erweist sich als sehr elastisch, wenn zunächst das obere Ende an den oberen Draht noch recht lose befestigt wird. Sie steht zunächst in der Mitte bauchig von den Drähten ab. Durch Herabziehen des Rutenmittelteils entsteht eine überwiegend gleichmäßige Belastung auf der ganzen Rutelänge ohne dass sich extreme Knickstellen bilden, die Bruchgefahr ist geringer als etwa beim Flachbogen. Lediglich an der Basis am Stamm kann die Rute stärker abknicken, reißt aber selten ab. Die Knickstelle schadet aber bei der Nährstoffversorgung keinesfalls. In etwa der Mitte der Rute erfolgt nun die zweite Bindung an den unteren Biegedraht. Die Bogrebe steht nun unter gewisser Spannung und liegt eng am Drahtrahmen an. Sind zudem die Stämmchen dauerhaft befestigt, halten somit 3 Bindungen die Rebe in Form und Position.

Anschnitt, Holz herausziehen und Biegen bei freier Wellenerziehung

Nachfolgend ist die Vorgehensweise im Betrieb Barbey beschrieben. Henry Barbey hat die Arbeitsschritte „Rebschnitt, Altholz entfernen und Biegen“ mit dieser Erziehung so gestaltet, dass Arbeitszeit in erheblichem Umfang eingespart werden kann, ohne dass Vorschneider oder Häcksler zur Altholzentfernung zum Einsatz kommen. Somit erfolgen eine effektive Kosten- und Arbeitszeiteinsparung und keine weitgehende Substitution von Arbeitskosten durch Kapitalkosten.

Zunächst werden die beiden Heftdrahtpaare maschinell mittels selbst konstruierter Drahtaushebung ausgehängt und stammnah in den Gassen abgelegt. Durch so genannte starre Hohlbügel, je einer pro Heftdrahtpaar, lassen sich auch die Drähte am Endeisen auf den Boden ablegen, sodass das einjährig gewachsene Holz komplett freisteht. Diese Bügel verhindern auch, dass Drähte vertauscht werden können oder dass lose Drahtenden auf dem Boden liegen bleiben. Der Anschnitt und das Ausheben erfolgen nun in einem Arbeitsgang von einer oder zwei Personen. Arbeiten zwei Arbeitskräfte, so stehen sie sich in der Rebzeile gegenüber, wobei eine Kraft mit der Elektroschere anschneidet und einen Teil des Holzes auf ihrer Seite aushebt. Die zweite Person zieht parallel das Holz auf die Gegenseite aus. Die alte Bogreben mit den Trieben können bei der Freien Welle vielfach komplett mit einem Rutsch herausgezogen werden, da zum einen die verwendeten Bindedrähte sich gut lösen und zum anderen keine störenden und verrankten Heftdrähte mehr vorhanden sind. Das Ausheben gestaltet sich also wesentlich einfacher als bei herkömmlicher Bogenformierung. Lediglich dort, wo sich Triebe kreuzen oder in sich verrankt haben, muss beim Ausheben des Holzes nochmals etwas nachgeschnitten werden.

In der Regel wird eine Rute pro Rebe angeschnitten. Bei sehr bruchempfindlichen Sorten, vorhandenen Hagelnarben wie beispielsweise im Jahr 2010, oder falls die Rute am Ansatz ungünstig steht, bleibt noch eine zweite Ersatzrute zur Sicherheit stehen. Tatsächlich ist die Bruchgefahr aber nicht höher als bei der Halbbogenerziehung und eher geringer als beim Flachbogen, da in der Regel nicht so stark an der Basis geknickt werden muss. Wichtig ist aber bei der Auswahl der Zielrute, das diese bereits an der Basis in Biegerichtung steht, ansonsten kann sie an dieser Stelle leicht abknicken. Somit sollte eher eine etwas weiter vorne stehende Rute angeschnitten werden, als eine ungünstiger stehende stammnähere. Da bei dieser Bindetechnik die Rute weder um den Biegedraht geschlagen werden muss, noch der Draht umgewickelt wird, kann das Ablängen und Putzen der Ruten auch noch nach dem Binden in einem separaten Arbeitsgang erfolgen, denn längere Enden oder „ungeputzte“ Ruten stören beim Anbinden keineswegs. Somit erfolgt aus Ablängen und Ausputzen der Ruten im Betrieb Barbey in der Regel erst nach dem Anbinden. Eingesetzt wird das Akkubetriebenen Pellenc Bindegerät AP 25 mit so genanntem Standardband (brauner kunststoffummantelter Bindedraht).

Bisher liegen noch keine exakten Arbeitszeiterhebungen für diese Bindetechnik vor, doch kann laut Auskunft von Henry Barbey von einer Arbeitszeitverringerung von 30 bis 50% im Vergleich zur Halb- oder Flachbogenerziehung für die Stockarbeiten Rebschnitt und Anbinden ausgegangen werden. Insbesondere das Ausheben des Altholzes wird sehr beschleunigt. Zwar ergibt sich für die zweite Rutenbindung ein Mehrkostenanteil von etwa 40 € an Material- und anteiligen Gerätekosten (Walg, Kostenvergleich verschiedener Bindematerialien und Geräte 2005), ein höherer Zeitaufwand zum Halbbogen ergibt sich nach Aussage von Henry Barbey aber nicht, da sich die Bogrebe dieser Erziehung leichter und schneller an den Draht anlegen lässt, als dies bei der Halbbogen- oder Flachbogenformierung der Fall ist. Dies gilt aber nur beim Einsatz von automatischen Bindezangen.

Vorteile der freien Wellenerziehung

Henry Barbey biegt seine Reben seit einigen Jahren nach diesem System und bestätigt bei gleichbleibendem Ertrag eine höhere Mostgewichtsleistung von 8 bis 10° Oe im Vergleich zur Halbbogenerziehung, die offensichtlich aus dem verbesserten Blatt-Frucht-Verhältnis herrührt. Nach seinen Angaben kann auch ein positiver Einfluss auf den Gesundheitszustand der Trauben ausgemacht werden.

Neben den Arbeitszeit- und Kostenvorteilen sprechen somit einige pflanzenbauliche Vorzüge für dieses System:

  • Keine abstehenden Schnabeltriebe wie beim Halbbogen. Die endständigen Triebe wachsen recht aufrecht und können beim Drähtehochlegen optimal aufgeheftet werden.
  • Kein Umkippen der jungen Triebe wie dies häufig beim Flachbogen der Fall ist, daher müssen die Heftarbeiten nicht so termingerecht durchgeführt werden.
  • Eine recht lockere, wellenförmige Traubenzone, die Trauben hängen überwiegend frei herab, es entstehen keine so dichten „Traubenpakete“ wie bei der Flachbogenerziehung. Besonders die Trauben der endständigen Triebe hängen sich freier ab als die am abfallenden Bogenteil eines Halb- oder Pendelbogens. Dies kommt der Traubengesundheit zugute.
  • Weniger Windbruch, da die Triebe im „Wellental“ geschützter sind, besonders bei Dornfelder und Portugieser ist dies ein deutlicher Vorteil, der 2010 offensichtlich wurde.
  • Durch den zweimaligen Knick der Bogrebe wird die Apikaldominanz genügend gebrochen, sodass weniger die Befürchtung besteht, dass die Reben am Stammkopf verkahlen, starkwüchsige Reben treiben bei der Wellenerziehung am Stamm dünnere Ruten, was wiederum die Bruchgefahr mindert.
  • Auch nach Hagelschäden lassen sich einfach kurze Stecker auf die wellenförmige alte Bogrebe anschneiden, die dann gut an den oberen Draht fixiert werden können, ein Ausweichen auf Kordonschnitt ist damit nicht zwingend notwendig.
  • Problemsorten wie Portugieser, die gerne zur Verkahlung neigen, bauen sich eher nach vorne als nach oben auf. Es entsteht weniger das Problem überhöhter Stämmchen als bei klassischer Erziehung.
  • Die Stammhöhe muss nicht so streng eingehalten werden wie bei der Flachbogenerziehung, auch leicht überhöhte Stämme passen noch gut in das System, die Stammbindung am Kopf erfolgt gleich der Halbbogenerziehung, was für eine gute Stabilität des Stammes sorgt.
  • Die Biegedrähte stören nicht beim Anschnitt der Fruchtruten und Ausheben des Altholzes, da die alten Bogreben nicht um den Draht gewickelt sind.

Allerdings ist die freie Wellenerziehung eher für starkwüchsige Reben geeignet, da der Anschnitt ausreichend lang gewählt werden muss. Schwachwüchsige Reben neigen dann zum Verkahlen im Anschnittbereich.

Fazit und Ausblick

Die positiven Praxiserfahrungen, die bisher im Betrieb Barbey mit diesem System gewonnen wurden sind es wert, die so bezeichnete freie Wellenerziehung umfassend zu erproben. Sie stellt eine wirkliche Alternative zu den bislang gängigen Bogenformierungen dar. Erste Versuche am DLR-Rheinpfalz bei den Sorten Riesling und Dornfelder waren 2010 durchgeführt worden. Leider konnte aufgrund starker Verrieslungen in der Blüte und somit stark vermindertem Ertrag der Testparzelle in den verschiedenen Bogenvarianten keine aussagefähigen Ertrags- und Mostgewichtsunterschiede festgestellt werden. Gleiches galt für die Parzellen vom Betrieb Barbey, die 2010 allesamt durch Hagelschlag geschädigt wurden, so dass hier leider ebenfalls keine Exaktauswertung der Ernteergebnisse erfolgen konnte. Die aussichtsreichen arbeitswirtschaftlichen und pflanzenbaulichen Vorzüge sprechen für eine Erprobung in der Winzerpraxis. Da eine Umstellung und gegebenenfalls Rückumstellung ohne nennenswerten Aufwand erfolgen kann, macht es Sinn, dieses System zunächst einmal an einigen Zeilen auszutesten und weitere Erfahrungen damit zu sammeln. Eine weitere Fragestellung ergibt sich, in wie weit diese Erziehung für das maschinelle Ausheben des Rebholzes mit dem so genannten Cane Pruner geeignet ist. Im Vergleich zur Halbbogenerziehung wachsen keine endständigen Schnabeltriebe gabelförmig am unteren fixen Biegedraht ein, was demnach für dieses System sprechen könnte. Entscheidend für das Gelingen ist jedoch, dass mit ausreichend stabilem Bindematerial gearbeitet wird, da die Ruten unter erheblicher Spannung stehen und zu schwach ausgelegte Papier- und Kunststoffbänder oder Drahtmaterial sonst während der Vegetation ausreißen kann. Optimal haben sich akkubetriebene Bindegeräte bewährt, die vor allem die zweite Bindung an der Rutenmitte stabilisieren. Bindeklammern oder Bindedrähtchen sind hierzu ungeeignet.

Weiterführende Links

Einzelnachweise


Literatur

Götz, G. (2016): Freie Welle für freiere Rebenentwicklung. Abteilung Weinbau & Oenologie (Gruppe Weinbau), Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz, Neustadt an der Weinstraße.