Ertragssteuerung

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Einflussgrößen auf die Ertragsbildung

Der Herbst 2010 hat wieder einmal gezeigt, dass ein erfolgreicher Weinbau nicht nur vom Können des Winzers geprägt, sondern ganz entscheidend von der Natur abhängig ist. In der Pfalz wurde die kleinste Weinernte seit 25 Jahren eingebracht. In den vergangenen Jahren lag die durchschnittliche Weinmosternte in der Pfalz bei 2.340.000 hl (DWV). In diesem Jahr geht der Deutsche Weinbauverband von einer Menge von 1.600.000 hl aus, was einer Minderung von 38% entspricht. Als Ursachen werden primär das schlechte Blütewetter und die daraus resultierende völlig unzureichende Befruchtungsrate mit enormen Verrieselungsschäden herangeführt. Weiterhin kamen die Hagelschäden der zweiten Juniwoche hinzu, die 4000-5000 ha der Rebfläche in der Pfalz schädigten. In der Reifephase führte das Auftreten von Botrytis sowie Stiellähme dazu, dass die Stockerträge auf ein empfindliches Maß absanken. Es liegt daher nahe, zu prüfen, welche weiteren Gründe die kleine Weinernte herbeigeführt haben. Dabei liegt der Fokus auf pflanzenphysiologischen Parametern, die die Ertragshöhe entscheidend mit beeinflussen.

Übersicht über die Einflussgrößen der Ertragsbildung
Beeinflussbar Nicht beeinflussbar
I. Vorjahr (Winteraugenbildung/Ausdifferenzierung)
  • Stockzahl/ha (Standraum)
  • Lockere Laubwand (Belichtung)
  • Blattzahl
  • Sorte, Klon, Unterlage (sortenspezifische Fruchtbarkeit)
  • Nährstoffversorgung
  • (Späte Lese), Eiswein (Reservestoffeinlagerung)
  • Stresssituationen:
  • Chlorose
  • Trockenheit
  • Späte intensive Teilentblätt.
  • Ertragsniveau
  • Wüchsigkeit / Schnittholzgewicht
  • (Alternanz, z.B. bei Dornfelder)
  • Witterung
  • Temperatur
  • Niederschlag
  • Luftfeuchte
  • Wind
  • Belichtung / Lichtintensität
  • Holzreife
  • Frühfröste im Herbst
  • Hagel
  • Alter der Rebstöcke
II. Ertragsjahr: Vor der Blüte
  • Anschnitt (Augen/m2)
  • Ausbrechen (Triebkorrektur)
  • Gescheinsreduktion
  • Windbruch
  • Erziehungsart
  • Halbbogen
  • Kordon
  • Minimalschnitt
  • Schädlinge
  • Rhombenspanner
  • Pilzkrankeiten
  • Gescheinsperonospora
  • Phomopsis
  • Spätfröste („Eisheilige“)
  • Augenschäden („mechanisch“)
  • Keimfähigkeit des Pollens sehr thermosensibel (Phase der Pollenreife kurz vor dem Aufblühen)
II. Ertragsjahr: In der Blüte
  • Einsatz von Bioregulatoren
  • Bormangel und starkes Triebwachstum fördern Verrieselung
  • Teilentblätterung
  • Botrytis/Peronospora
  • Witterung
  • Temperatur (Pollenwachstum temperaturabhängig)
  • Niederschlag

→ Befruchtungsrate

II. Ertragsjahr: Nach der Blüte
  • Wasserversorgung, Bewässerung
  • Bodenpflege (offen, begrünt)
  • Nährstoffgaben, Düngung
  • Blattdünger, Kalkung
  • Laubschnittzeitpunkt (1. Gipfeln)
  • Ertragsregulierung
  • Ausdünnen
  • Trauben halbieren
  • Gescheine abstreifen
  • Pilzkrankeiten
  • Peronospora
  • Oidium
  • Schwärzepilze
  • Wasserversorgung (Niederschlagsverteilung)
  • Vorhandene Nährstoffgehalte und Humusversorgung im Boden
  • Sonnenbrand
  • Hagel
  • Botrytis (→ Stielerkrankungen mit Bodentrauben)
  • Stiellähme

Grundlagen der Ertragsphysiologie der Rebe – Einflüsse aus dem Vorjahr

Übersicht über den zeitlichen Verlauf der Gescheinsanlagendifferenzierung, die bereits im Vorjahr als auch im Ertragsjahr die Ertragshöhe mitbestimmt

Der Hektarertrag wird durch das Zusammenspiel verschiedener Ertragsfaktoren wie Augenzahl/m2, Triebzahl/Stock, Traubenzahl/Stock, Traubengewichte, Beerenzahl/Traube, Beerengewichte usw. geprägt. Diese werden bereits teilweise im Vorjahr beeinflusst, etwa durch die Festlegung der Gescheinsanzahl/Trieb (vgl. Abbildung zu Gescheinsanlagenentwicklung). Grundsätzlich können bei den Einflussgrößen der Ertragsbildung beeinflussbare und nicht beeinflussbare Faktoren unterschieden werden (vgl. Tabelle oben). Über den Augenanschnitt je m2 legt der Winzer eine erste Grundlage für den Zielertrag im nächsten Jahr. Für die Ertragshöhe spielt der Standraum der Rebe eine Rolle, durch den die Stockzahl pro Hektar vorgegeben wird. Weiterhin wird durch die Rebsorte bzw. den Klon sowie die Unterlage und deren Kombinationen die mögliche Ertragshöhe beeinflusst. Auch die Wüchsigkeit der Rebanlage und damit die Nährstoffversorgung oder etwaige Stresssituationen wie Chlorose oder Trockenheit können sich im Folgejahr noch bemerkbar machen.
In diesen Kontext passt sehr treffend die alternierende Reaktion mancher Rebsorten. Gerade der Dornfelder zeigt hinsichtlich der Ertragshöhe von Jahr zu Jahr große Schwankungen (2009: 155,2 hl/ha; 2010: 82 hl/ha (Durchschnittserträge Pfalz laut Erntemeldung LWK bzw. Schätzwert)). Entscheidend für die Ertragshöhe sind jedoch Faktoren, die der Winzer nicht beeinflussen kann. An jedem Sommertrieb lässt sich nach dem Austrieb in jeder Blattachsel eine Doppelknospe erkennen, die aus der Sommerknospe und der Winterknospe bestehen [1]. Aus der Sommerknospe kann ein Geiztrieb entstehen. Dieser Vorgang wird in der Rebe hormonell geregelt. Wird die Triebspitze gekappt, kommt es zum Austrieb des Sommerauges. Es ist bekannt, dass in den jetzigen Winteraugen der Gescheinsansatz bzw. die zu erwartende Anzahl der Infloreszensen pro Trieb vorliegt (vgl. Abbildung zu Gescheinsanlagenentwicklung). Diese Vorgänge der Anlagendifferenzierung setzen bereits im Vorjahr etwa 5-7 Wochen nach dem Austrieb am Sommertrieb im künftigen Winterauge ein und dauern bis zum Stadium der Knospenruhe an [2]. In einer ersten Phase werden undifferenzierte Primordien (Gewebeanlagen) ausgebildet, die sich später zu einer Ranke oder einem Geschein entwickeln können. Diese Prozesse werden durch interne und externe Faktoren gesteuert. Maßgeblich beteiligt sind die Pflanzenhormone Gibberellinsäure und Cytokinin. Überwiegt der Gibberellinsäureanteil, wird die Infloreszenzdetermination blockiert und es bildet sich eine Ranke. Liegt dagegen das Cytokinin in hoher Menge vor, bildet sich eine Traube [3]. Die maximale Infloreszenzahl pro Knospe ist im mittleren Triebbereich im Juni bis Juli erreicht (Currle et al., 1983). Dies ist auf die günstigen klimatischen Bedingungen für die Gescheinsentwicklung in den Augen zurückzuführen. Dies ist auch eine Erklärung, weshalb basale Augen bei vielen Sorten unfruchtbarer sind, da die Ausbildung der Traubenanlagen zu Beginn der Vegetationsperiode unter kühleren Temperaturen abläuft. Entscheidend für einen hohen Fruchtansatz sind externe Faktoren wie optimale Witterungsbedingungen in der Zeit von etwa Mitte Mai bis Ende Juli (hohe Lichtintensitäten, hohe Temperaturen). Allerdings bestehen hinsichtlich der Infloreszenzbildung und der Temperatur zwischen den unterschiedlichen Rebsorten große Unterschiede. Weiterhin korreliert der Prozess der Gescheinsanlagenbildung mit dem Triebdurchmesser, der Trieblänge und dem Triebgewicht und folgt einer Optimumskurve [4]. Dies ist auch der Grund, weshalb zu dünne Anschnittruten eine verringerte Fruchtbarkeit aufzeigen. Bei ausreichend mit Nährstoffen versorgten Reben und günstigen Temperaturen war der Gescheinsansatz pro Trieb in den letzten Jahren immer ausreichend bzw. nach Daten der LVWO Weinsberg sogar über dem langjährigen Mittel, wenngleich zwischen der Gescheinsanzahl große Sortenunterschiede bestehen (vgl. Abbildung oben "Durchschnittlicher Gescheinsansatz"). Dies traf ebenso auf das aktuelle Jahr 2010 zu. Im Rahmen der amtlichen Reifemessung konnten dagegen bei den Sorten Dornfelder, Riesling und Weißburgunder zwischen 11 und 14% niedrigere Traubenzahlen pro Stock festgestellt werden (vgl. Abbildung oben "Durchschnittliche Traubenzahl/Stock"). Allerdings sagt die Traubenzahl pro Stock zur Lesereife wenig über die tatsächliche Gescheinsanzahl pro Stock aus (Windbruch, Laubarbeiten), so dass der diesjährige Minderertrag andere Ursachen haben muss.

Einflussgrößen im Ertragsjahr

Für den zu erwartenden Ertrag müssen unterschiedliche Parameter vor, in und nach der Blüte betrachtet werden (s. Tabelle oben). Entscheidend vor der Blüte ist die Austriebsrate der Winteraugen, die wiederum die Triebzahl/ha und damit die Traubenzahl/ha ergibt. Die Erfolgsquote des Austriebes wird dagegen durch verschiedene abiotische und biotische Faktoren beeinflusst, ohne dass der Winzer diese beeinflussen kann. Hierzu zählen Ereignisse wie Winter- oder Spätfröste oder Windbruchschäden, die allerdings in 2010 nahezu ausgeschlossen werden können. Auch ein früher Gescheinsbefall mit Peronospora sowie das Auftreten von Augenschädlingen wie den Rhombenspanner können die niedrigen Erträge in 2010 nur in speziellen Einzelfällen erklären, wenngleich 2010 früh an den Gescheinen Peronospora aufgetreten ist. Über die Auswahl des Erziehungssystems kann dagegen die Fruchtbarkeit gezielt beeinträchtigt werden. Die Kordonerziehung bzw. der Zapfenschnitt führt tendenziell zu einer verringerten Traubenzahl pro Trieb und wird aus Qualitätsgründen von einigen Betrieben erfolgreich umgesetzt, wenngleich durch die verbesserte Befruchtungsrate oftmals kompakte schwere Trauben entstehen können. In den Hagelgebieten wird diese Schnittform in diesem Jahr für viele Betriebe das Mittel der Wahl sein, da häufig keine gesunden Anschnittruten zur Verfügung stehen. Dabei ist unbedingt auf die Sorteneignung im Hinblick auf die basale Unfruchtbarkeit diverser Sorten wie Traminer, Portugieser oder Dunkelfelder zu achten. In einem mehrjährigen Versuch mit der Rebsorte Dornfelder auf einem fruchtbaren tiefgründigen Standort wurden im Mittel der Jahre 2004-2010 in der Kordon-Variante 112,3 kg/ha (-19%) bei einem Mostgewicht von 80,3°Oe (+9%) geerntet, während bei der Bogrebenvariante der Ertrag mit 137,5 kg/a und einem Mostgewicht von 73,8°Oe ermittelt wurde. Die Ertragsunterschiede können allerdings in manchen Jahren deutlich größer ausfallen. Einige Betriebe in Direktzuggebieten wechseln im jährlichen oder zweijährlichen Rhythmus zwischen Bogen- und Zapfenschnitt (Wechselkordon). Dabei wird jeweils immer nur auf einem Teil der Betriebsfläche maschinell vorgeschnitten, die restliche Fläche, die im Vorjahr auf Zapfen stand, wird manuell auf Bogreben geschnitten. Im Folgejahr werden die Flächen exakt getauscht. Somit erreicht man zwar nur auf der entsprechenden Teilfläche den Einspareffekt des Maschinenschnitts, vermeidet aber die pflanzenbaulichen Schwierigkeiten, die meist mit einem langjährigen Kordonschnitt verbunden sind: Verkahlen der Kordonarme, Hochbauen der Zapfen, erschwerter Schnitt. Als empfehlenswert ist der ein- bis maximal dreijährige Wechselrhythmus anzusehen. Da der Zapfenschnitt bisher keine große Bedeutung im pfälzischen Weinbau erlangte, ist die Schnittform ebenfalls nicht für die niedrigen Erträge im gesamten Gebiet verantwortlich.

Durchschnittliches Traubengewicht bei der Lese

Die bereits beschriebene Anlagendifferenzierung aus dem Vorjahr spielt auch nach dem Austrieb im Ertragsjahr eine große Rolle. Bis kurz vor der Blüte wird in der sogenannten „Blütendifferenzierungsphase“ die potentielle Blütenzahl der Gescheine festgelegt. Entsprechend der hohen Sortenvariabilität schwankt die Blütenzahl je Geschein beträchtlich. Nach Eichhorn (1971, aus: Currle et al., 1983) werden vier Sortenklassen hinsichtlich der Blütendifferenzierung unterschieden: 1. Sorten mit hoher Infloreszenzzahl/Trieb und hoher Blütenzahl/Infloreszenz, z.B. Müller-Thurgau; 2. Sorten mit hoher Infloreszenzzahl/Trieb und niedriger Blütenzahl/Infloreszenz, z.B. Silvaner; 3. Sorten mit niedriger Infloreszenzzahl/Trieb und hoher Blütenzahl/Infloreszenz, z.B. Huxelrebe; 4. Sorten mit niedriger Infloreszenzzahl/Trieb und niedriger Blütenzahl/Infloreszenz, z.B. Traminer. Die Blütendifferenzierungsphase aller Sorten lief im vergangenen Jahr im Mai unter nasskalter Witterung ab, so dass die späteren Beerenzahlen pro Traube deutlich niedriger ausfielen. Sinken die Beerenanzahlen pro Traube deutlich ab, hat das Auswirkungen auf das spätere Traubengewicht. Dies konnte bei den Untersuchungen zu den Traubengewichten bestätigt werden (vgl. nebenstehende Tabelle). Bei den marktrelevanten Sorten Müller-Thurgau, Grau- und Weißburgunder, Riesling, Spätburgunder und Dornfelder fielen die Traubengewichte im Mittel aller Sorten in 2010 zwischen 14-26% niedriger aus als zum mehrjährigen Mittel. Die unzureichende Durchblührate (Verrieselung) hat ebenfalls zu den niedrigen Traubengewichten beigetragen.

Einfluss der Blüte – der Schlüssel zum Verständnis der Ertragssituation in 2010?

Es ist hinreichend bekannt, dass durch eine hohe Befruchtungsrate sowie ein ergiebiges Wasserangebot nach der Blüte große schwere Trauben im Herbst entstehen, die wiederum hinsichtlich Traubengesundheit Probleme bereiten und eine Ursache für die Fäulnisprobleme der letzten Jahre sind. Die Blüte erfolgt in unseren Bereichen in der Zeit zwischen Ende Mai bis Mitte Juni, wenngleich in den letzten Jahren augrund der Klimaerwärmung der Beginn immer zeitiger eingesetzt hat (Mittelwerte 2000-2009 am 7. Juni; 1990-2009 am 9. Juni; 1980-2009 am 13. Juni). Der Blütebeginn ist eng mit der Temperatur korreliert, so dass der Termin etwa 6 bis 8 Wochen nach dem Austrieb einsetzt. Auch die Durchblührate wird maßgeblich von der Witterung beeinflusst. Förderliche Faktoren sind: hohe Lichtintensität, hohe Temperaturen, geringe Luftfeuchtigkeit, gute Wasserversorgung, wenig Niederschlag zur Blüte, mittleres Wachstum. Bei genauerer Betrachtung weist Schultz[5] darauf hin, dass sich unter 15°C die Staubblätter kaum öffnen. Temperaturen über 32°C sollen dagegen einen verzögernden Einfluss auf das Aufblühen der Gescheine haben. Temperaturen zwischen 32 und 40°C hemmen sogar das Pollenwachstum und wirken sich negativ auf die Fertilität der Eizelle in den Samenanlagen aus [6]. Des Weiteren fördern hohe Temperaturen während der Blüte das Triebwachstum und es kommt zum Verrieseln (Definition: Abfallen unbefruchteter Blüten). Die nicht befruchteten Ovarien fallen innerhalb von drei Wochen nach der Blüte, wobei der Großteil bereits in den ersten 12 Tagen nach der Blüte abfällt. Biologisch gesehen kommt es immer zum Verrieseln. Ursachen sind unzureichende Nährstoffversorgung, aber auch die Versorgung von Kohlenhydraten an die jungen Gescheine. Neueste Ergebnisse aus Frankreich und Australien zeigen, dass die Spanne vor der Blüte die Befruchtungsrate entscheidend mit beeinflusst und die Keimfähigkeit verloren geht [7]. Dies war im letzten Jahr der Fall, betrachtet man sich die niedrigen Temperaturen im Mai (vgl. Abbildung unten "Temperaturverlauf Mai-Juli"). Der Blütenansatz ist aber auch von exogenen Faktoren abhängig. Gescheine mit hoher Blütenzahl verrieseln stärker als Gescheine mit niedriger Blütenzahl. Offenbar konkurrieren die Blüten untereinander, so dass bei hoher Blütenzahl eine Art von Selbstregulation auftritt. Die basalen Gescheine verrieseln stärker als die akropetal angeordneten Gescheine. Demzufolge hat die basal inserierte Traube immer den höchsten Beerenansatz. Der Beerenansatz schwankt zwischen 20 und 50%, wobei die Sorten Silvaner, Morio-Muskat und Riesling im höheren Bereich liegen und damit kompaktere Trauben bilden. Die Rebsorte Muscat of Alexandria hat bereits bei einer Befruchtungsrate von 5% einen ausreichenden Ertrag [8]. Die Blütenzahl pro Infloreszenz ist damit stark sortenabhängig. Während der Blüte entscheidet sich, ob die Beere befruchtet wird oder nicht. Hierbei kommt es zur Ausbildung unterschiedlicher Kernzahlen. Je höher die Befruchtungsrate, desto höher fällt die Kernzahl aus. Maximal werden vier, in der Regel aber nur zwei Kerne gebildet [9]. Bereits 24 Stunden nach der Befruchtung sind die Staubblätter abgeworfen und der Fruchtknoten hat sich vergrößert. Unbefruchtete Beeren zeigen diese Vergrößerung nicht. Kleine Beeren, die man manchmal findet und durch Verrieseln entstanden sind, sind parthenokarpisch, d.h. nicht befruchtet und haben keine Kerne.

2010 hat sich die Blüte beim Riesling am Standort Neustadt/W. vom 13. bis etwa 25. Juni recht lange hingezogen (vgl. Abbildung oben "Wetterdaten während der Blüteperiode"). Verantwortlich dafür war die Temperatur, die in dieser Zeitspanne deutlich abgesunken ist und den Befruchtungsvorgang merklich gestört hat. In der Folge waren insbesondere im Bereich Mittelhaardt bei Riesling sowie in anderen frühen Lagen deutliche Verrieselungsschäden erkennbar. Die Verrieselungsbonituren von Riesling und Spätburgunder in Neustadt zeigten Werte, die im Vergleich zum mehrjährigen Mittel um 45 bzw. 50% erhöht waren. Während man in den letzten Jahren über lockerbeerige Trauben aufgrund einer höheren Widerstandsfähigkeit gegenüber Fäulniserregern eher erfreut war, haben die enormen Verrieselungsschäden durch das kühle Blütewetter, insbesondere in Betrieben mit einem hohen Riesling-Anteil, die Erträge stark dezimiert. In Siebeldingen am Standort Geilweilerhof setzte die Blüte beim Riesling dagegen erst am 22. Juni ein und war bereits zum 27. Juni beendet (Daten des JKI, s. Abbildung oben "Wetterdaten während der Blüteperiode"). Die Temperaturen waren teilweise deutlich höher als in Neustadt und führten entsprechend zu höheren Befruchtungsraten. Dies erklärt die etwas höheren Erträge im südlichen Teil der Pfalz (mit Ausnahme des Hagelgebietes).

Auch auf der Zielgeraden ist noch lange nicht alles in „trockenen Tüchern“!

Die bereits beschriebenen niedrigen Traubengewichte in 2010 können noch auf eine weitere Ursache zurückgeführt werden. Durch die Trockenheit im Juni und Juli war das Beerenwachstum deutlich gehemmt worden. Für das Verständnis der kleineren Beerenentwicklung sollen an dieser Stelle kurz die Zusammenhänge der Pflanzenphysiologie über das Beerenwachstum dargestellt werden. Es werden drei verschiedene Beerenentwicklungsphasen unterschieden, wobei der Fokus auf der ersten Phase liegt [10]. In der ersten Entwicklungsphase findet die erste Phase des Dickenwachstums statt. Diese erstreckt sich je nach Sorte und Jahrgang über einen Zeitraum von 5 – 6 Wochen. Der von den Blättern gelieferte Zucker wird für Zellteilungsprozesse verwendet. Liegt in dieser Phase ein Wassermangel vor, stellt die Rebe zunächst das vegetative Wachstum ein. Die Assimilationsleistung sinkt, da die Rebe zum Schutz vor Austrocknung die Spaltöffnungen schließt. Das verringerte Zuckerangebot an die jungen Trauben verlangsamt die Zellteilung und bremst damit das Dickenwachstum aus. Die Folge sind kleinere Beeren, die unter anderem zu den niedrigeren Traubengewichten zur Lese geführt haben. In der Beerenentwicklungsphase II, der sogenannten Sistierungsphase (der Embryo entwickelt sich zur vollen Größe), zeigen die Reben einen Vegetationsstillstand. Mit einer Dauer von ca. 4 bis 24 Tagen ist diese Phase sehr sortenabhängig. Die dritte Phase stellt die eigentliche Reifephase dar. In dieser Phase findet nochmals Dickenwachstum statt, welches ausschließlich auf eine Vergrößerung der Zellen und nicht auf Zellteilungsprozesse zurückgeführt wird. Diese Vorgänge benötigen im Gegensatz zum Dickenwachstum der ersten Beerenentwicklungsphase keinen Zucker. Der gebildete Zucker wird eingelagert und führt zum Mostgewichtsanstieg.

Selbst nach der Blüte kann regulierend auf das zukünftige Ertragsniveau eingewirkt werden. Ein von der Praxis nicht immer beachteter Zusammenhang besteht zwischen dem Laubschnittzeitpunkt und dem späteren Ertragsniveau und somit dem Zuckerertrag. Je früher der erste Gipfeltermin durchgeführt wird, desto höher steigen der Ertrag und die Kompaktheit der Trauben. Weiterhin fällt das Dickenwachstum der Beeren umso schwächer aus, je später das erste Einkürzen stattfindet. Gegen ein spätes Gipfeln sprechen der höhere Wasserverbrauch sowie ein mögliches Umkippen der Triebe. Andere Faktoren, die die Wüchsigkeit der Rebe beeinflussen, wie beispielsweise die vorhandene Nährstoff- und Humusversorgung oder die Niederschlagsverteilung, sind an der Ertragsbildung beteiligt (s. Tabelle oben "Einflussgrößen der Ertragsbildung").

Starker Stiellähmebefall bei der empfindlichen Sorte Lemberger ließ die Trauben oft vor der physiologischen Reife fallen.

Die letzten Jahre haben häufig bewiesen, dass späte Botrytis-Infektionen, die oft mit einem Aufplatzen der Beeren einhergehen, die Erträge schmerzlich absenken können. Hinzu kam im vergangenen Jahr ein verstärkter Stiellähme-Befall, der die Trauben vor der physiologischen Reife abwelken ließ. Bei der Stiellähme handelt es sich um eine physiologisch bedingte Stoffwechselstörung, vergleichbar mit der Stippigkeit bei Äpfeln. Im weitesten Sinne ist diese Ernährungsstörung eine latente Mangelerkrankung, bedingt durch ungleiche Versorgung mit Wasser und Nährstoffen während den empfindlichen Entwicklungsstadien. Bei den Nährstoffdefiziten spielt Magnesiummangel als Auslöser eine tragende Rolle. Eine Zufuhr von Magnesium kann durch Kieserit, Bittersalz oder magnesiumhaltige Kalkung (auf sauren Standorten) erfolgen. Eng korreliert ist die Nährstoffaufnahme der Rebe immer mit dem Wasserhaushalt, besonders hier ist der Hauptauslöser in einer zeitweise unausgeglichenen Wasserversorgung zu suchen. Dies war 2010 der Fall: Nach einer länger anhaltenden Trockenperiode während der Beerenentwicklung machte sich ein kühler und regnerischer Witterungsumschwung im August bemerkbar. Auch Temperaturabnahmen um 10 bis 15° C nach vorangegangen Niederschlägen können Auslöser für Stiellähme sein. Nach der Regulationstheorie hat auch der Verlauf der Blüte einen Einfluss auf die spätere Veranlagung zu Stiellähme. Phytohormone regulieren die Blüte und das anschließende Abstoßen von überzähligen Beeren. Bei ungünstigen Blütebedingungen bildet sich vorzeitig Trenngewebe aus. Kühle Temperaturen (Nachttemperaturen von etwa 5°C) und eine lang anhaltende Blüte (regnerische kühle Witterung) sind damit sehr Stiellähme förderlich.

Trotz wiederholtem Einsatz magnesiumhaltiger Blattdünger konnte diese physiologische Erkrankung nur bedingt gemindert werden. Eine Hauptursache liegt sicherlich bei den schlechten Blütebedingungen. Erschwerend kamen bekanntlich die Hagelereignisse in der Pfalz von der zweiten Juniwoche hinzu. Andere abiotische Schadursachen wie Sonnenbrand waren in diesem Jahr kein Thema. Im Nachhinein muss noch erwähnt werden, dass die gute bzw. üppige Wasserversorgung der Weinbergsböden im August dazu beigetragen hat, dass die Erträge nicht noch geringer ausgefallen sind, als es tatsächlich der Fall war.

Aussichten für das Weinjahr 2011 – Vor-Freude oder Sorge?

Aufgrund der zu erwartenden normalen Fruchtbarkeit der Winteraugen sollte der Rebschnitt mit Ruhe und Sachverstand durchgeführt werden.
Knospenschnitte eignen sich nur sehr bedingt für die Ermittlung der Augenfruchtbarkeit

Die entscheidende Frage, die die Weinbaupraxis zur Zeit des Rebschnittes beschäftigt, lautet eindeutig, wie der Gescheinsansatz in 2011 ausfallen wird. Zur Überprüfung können die Gescheinsanlagen in den Winterknospen mit großer Mühe unter dem Mikroskop freigelegt werden. Dies erfordert ein hohes Maß an Geschick und bietet der Praxis somit keine Hilfestellung. Auf wissenschaftlicher Ebene gibt es hoffnungsvolle Ansätze, das zu erwartende Ertragspotential anhand der Länge der Hauptachse sowie der Verzweigungen der Infloreszenzen in den Winteraugen zu bestimmen. Hierbei fanden die australischen Wissenschaftler Dunn, G. und Martin, S. (2007)[11] eine enge Korrelation zwischen dem Grad der Verästelungen an den Infloreszenzen und der späteren Blütenzahl/Geschein. Allerdings werden diese Zusammenhänge von exogenen Faktoren wie Wasser- oder Nährstoffversorgung sowie der Insertionshöhe beeinflusst, so dass noch weiterer Forschungsbedarf hinsichtlich möglicher Ertragsprognosen besteht.

Stecklingsversuch aus hagelgeschädigten Anlagen – sowohl der Austrieb als auch der Gescheinsansatz ist deutlich vermindert

Zunächst muss betont werden, dass das heutige Rebmaterial aufgrund der langjährigen Selektionszüchtung sehr fruchtbare Klone (leider in vielen Jahren zu fruchtbar) hervorgebracht hat. Aus den geschilderten Zusammenhängen wurde deutlich, dass die Anlagendifferenzierung in den Monaten Ende Mai bis Anfang August abgelaufen ist. In dieser Zeit lagen sowohl die Durchschnittstemperaturen von Juni und Juli in 2010 über dem mehrjährigen Mittel (vgl. Abbildung oben "Temperaturverlauf Mai bis Juli"). Das gleiche gilt für die Sonnenscheinstunden. Demzufolge kann zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgegangen werden, dass der Gescheinsansatz in 2011 ausreichend bis gut ausfallen wird. Da diese Differenzierungsvorgänge noch bis zur Knospenruhe anhalten, kann es allerdings sein, da der August deutlich zu kühl war, dass es eventuell bei einigen Sorten je nach Insertionshöhe zu einer Mischform von Ranken und Gescheinen kommen wird [12]. Hierbei muss man berücksichtigen, dass die Ranke und das Geschein homologe Strukturen darstellen, die je nach Hormonstatus der Pflanze im Folgejahr als Ranke oder Traube ausgebildet werden. Diese Reaktion tritt häufig nur an der dritten Position am Trieb auf und hat für die Ertragsbildung somit keine große Bedeutung. Dieser Sachverhalt gilt insbesondere für hagelgeschädigte Reben, in denen der Aufwuchs zerstört wurde. An den ausgetriebenen Trieben und den damit einhergehenden Differenzierungsprozessen in den Winteraugen muss von einer verringerten Fruchtbarkeit ausgegangen werden, da diese Prozesse zeitlich verzögert im kühlen August abgelaufen sind. Dies konnte in den eigenen Versuchen anhand der Austriebsbonituren von Einaugenstecklingen aus den Hagelgebieten im Gewächshaus bestätigt werden (siehe nebenstehende Abbildung). Es zeichnet sich ab, dass die Gescheine in ihrer Entwicklung im Vergleich zu den nicht geschädigten Stecklingen gestört waren.

Entscheidend für die Ertragshöhe wird wie jedes Jahr die Blüte werden. Eingriffe, die zu einer Erhöhung der Befruchtungsrate führen, können vom Praktiker nur bedingt herbeigeführt werden. Dies war in den meisten Jahren auch nicht notwendig, sondern genau das Gegenteil stand im Fokus. Der Einsatz verschiedener weinbaulicher Maßnahmen wie frühzeitige Teilentblätterung oder der Einsatz von Bioregulatoren soll den Befruchtungsvorgang stören und durch die Auflockerung der Trauben deren Gesundheit positiv beeinflussen. Aus diesen Erfahrungen sollte das Anschnittniveau, welches sich in den letzten Jahren im Rahmen des Qualitätsweinbaus bewährt hat, nicht erhöht werden. Je nach Ertragsziel und Sorte gilt die Empfehlung, die Augenzahlen pro m2 auf 4-7 Augen einzustellen. Ein höherer Anschnitt hat pflanzenbaulich gravierende Nachteile, von denen die Menge-/Güte-Regel noch das kleinere Übel darstellt. Die bereits beschriebene Alternanz trägt ihr übriges dazu bei, das Anschnittnviveau nicht nach oben zu schrauben. In hagelgeschädigten Anlagen gilt diese Empfehlung nicht. Hier muss von Anlage zu Anlage bzw. in den stark geschädigten Anlagen von Stock zu Stock entschieden werden. Durch teilgeschädigtes Holz und noch zu erwartende Augenausfälle sollte das Anschnittniveau hier höher liegen. Beim Ausbrechen kann dann im Frühjahr regulierend eingegriffen werden.

Fazit

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die niedrigen Erträge im letzten Jahr viele Ursachen hatten. Die Ertragshöhe kann in einigen Punkten vom Winzer gesteuert werden. Allerdings hat sich im vergangenen Jahr wieder gezeigt, dass die Einflüsse in der Natur für die Erträge immer noch maßgebend sind, und diese lassen sich nur bedingt beeinflussen. Aufgrund der pflanzenphysiologischen Ausführungen hinsichtlich der Augenfruchtbarkeit in 2011 sollte der anstehende Rebschnitt mit Ruhe und Sachverstand durchgeführt werden. Ein erhöhtes Anschnittniveau anzustreben wäre nicht zielführend und ist die falsche Strategie für 2011 und ein falsches Signal auf den Markt und die Marktpartner.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Blaich, R. (2000): Vorlesung Biologie der Rebe
  2. Vasconcelos, M., Greven, M., Winefield, C., Trought, M. and Raw, V. (2009): Am. J. Enol. Vitic. 60:4
  3. Schultz, H.-R. (2011). Mündliche Mitteilung
  4. Currle, O, Bauer, O., Hofäcker, W., Schumann, F. und Frisch, W. (1983): Biologie der Rebe. Meiniger Verlag Neustadt
  5. Schultz, H.-R. (2011). Mündliche Mitteilung
  6. Müller, E. (2006): Bewässerung – die Antwort auf den Klimawandel? – Bodenkundliche und pflanzenphysiologische Grundlagen. Tagungsband anlässl. 50. Kreuznacher Wintertagung 2006 in Bad Kreuznach
  7. Schultz, H.-R. (2011). Mündliche Mitteilung
  8. Delrot, S., Medrano, H., Or, E., Bavaresco, L. and Grando, S. (2010): Methodologies and results in grapevine research. Springer
  9. Bauer, K. (2008): Weinbau. Österreichischer Agrarverlag, Wien
  10. Müller, E., Lipps, H.-P. und Walg, O. (2008): Der Winzer, Weinbau. Ulmer Verlag Stuttgart
  11. Dunn, G.M. and Martin, S.R. (2007): A functional association in Vitis vinifera L. cv. Cabernet Sauvignon between the extent of primary branching and the number of flowers formed per inflorescence. Australian Journal of grape and wine research 13, 95-100
  12. Schultz, H.-R. (2011). Mündliche Mitteilung

Literaturverzeichnis

  • Petgen, M. und Hörsch, S. (2011): Möglichkeiten und Grenzen der Ertragssteuerung - Teil I. Des Deutsche Weinmagazin (Nr. 6/26. März 2011): 18-21.
  • Petgen, M. (2011): Möglichkeiten und Grenzen der Ertragssteuerung - Teil II. Des Deutsche Weinmagazin (Nr. 7/09. April 2011): 14-27.
  • Bauer, K. (2008): Weinbau. Österreichischer Agrarverlag, Wien.
  • Blaich, R. (2000): Vorlesung Biologie der Rebe
  • Boss, P., Buckeridge, E., Poole, A. and Thomas M. (2003): New insights into grapevine flowering. Functional Plant Biology 30, 593-606
  • Currle, O, Bauer, O., Hofäcker, W., Schumann, F. und Frisch, W. (1983): Biologie der Rebe. Meiniger Verlag Neustadt.
  • Dunn, G.M. and Martin, S.R. (2007): A functional association in Vitis vinifera L. cv. Cabernet Sauvignon between the extent of primary branching and the number of flowers formed per inflorescence. Australian Journal of grape and wine research 13, 95-100.
  • Delrot, S., Medrano, H., Or, E., Bavaresco, L. and Grando, S. (2010): Methodologies and results in grapevine research. Springer
  • Fox, R. und Steinbrenner, P. (2006): Gescheinsansatz 2006 sowie Übersicht über Möglichkeiten der Ertragssteuerung. Homepage LVWO Weinsberg
  • Keller, M. (2010): The science of grapevines: anatomy und physiology. Academic press Elsevier.
  • Müller, E. (2006): Bewässerung – die Antwort auf den Klimawandel? – Bodenkundliche und pflanzenphysiologische Grundlagen. Tagungsband anlässl. 50. Kreuznacher Wintertagung 2006 in Bad Kreuznach.
  • Müller, E., Lipps, H.-P. und Walg, O. (2008): Der Winzer, Weinbau. Ulmer Verlag Stuttgart.
  • Redl, H. (2010) : Rebblüte – zentrales Entwicklungsstadium. Der Winzer
  • Schultz, H.-R. (2011). Mündliche Mitteilung.
  • Smith, D. (2003): Bud dissection clears a path for pruning. Australian Viticulture
  • Vasconcelos, M., Greven, M., Winefield, C., Trought, M. and Raw, V. (2009): Am. J. Enol. Vitic. 60:4